Mysterienreligionen im alten Rom

Mysterienreligionen im alten Rom
Mysterienreligionen im alten Rom
 
Kurz vor Ende des zweiten Punischen Krieges verhießen die Sibyllinischen Bücher, der auswärtige Feind könne aus Italien vertrieben werden, wenn man die Muttergöttin Kybele (Magna Mater = Große Mutter) aus Phrygien in die Hauptstadt holte. So fand 204 v. Chr. mit der feierlichen Überführung des schwarzen Meteors, der die Gottheit verkörperte, der erste orientalische Kult, die erste Mysterienreligion, offiziell Eingang in Rom.
 
Mysterien waren geheime Einweihungsriten, die dem Einzelnen eine besondere Erfahrung mit dem Heiligen ermöglichen sollten. Alle Gottheiten der Mysterienreligionen hatten ein kummervolles Schicksal zu überwinden, an dem der Mensch in der Initiation teilhaben konnte.Kybele verlor beispielsweise ihren Sohn und Geliebten Attis;Isis beklagte ihren toten Bruder und Gemahl; Mithras opferte sich selbst. Die Initiation verlieh eine tiefere Einsicht in die Einheit von Leben und Tod und verhieß dem Mysten, dem Eingeweihten, wie der Gottheit, deren Los er mitdurchlitten hatte, die Erlösung von allen Leiden. Anders als im nüchternen römischen Kult wurde hier der Kontakt mit der Gottheit erlebbar - für viele eine faszinierend neue Erfahrung und Lebenshilfe.
 
Die Mysterien standen, von Ausnahmen abgesehen, jedem Suchenden offen. Man konnte daneben weiter den alten Göttern dienen, wozu man im Staatskult sowieso verpflichtet war, und sich zudem in verschiedene Mysterien einweihen lassen. An den öffentlichen Feiern durften auch Nicht-Eingeweihte teilnehmen.
 
Die Kultformen dieser Religionen - nur von den drei wichtigsten sei hier die Rede - waren sehr unterschiedlich. So wurde die Göttin Kybele in von Eunuchenpriestern geleiteten orgiastischen Umzügen und ekstatischen Tänzen gefeiert, die bei ihren Anhängern bis zur verzückten Selbstverletzung und Selbstentmannung führten. Dies veranlasste den Senat, den römischen Bürgern die Beteiligung an Kybele-Kulten zu untersagen. Als Ausgleich richtete man der Magna Mater, die ja den Staat schützen sollte, ein Fest ein: die Ludi Megalenses; wie sehr viele andere Feste in Rom hatte es eine religiöse und eine unterhaltsame Seite: Auf das Opfer im Tempel folgten - als Huldigung der Göttin gemeinte - Zirkusspiele und Theateraufführungen. Die Patrizier luden einander zum feierlichen Bankett ein.
 
In der frühen Kaiserzeit wurde Kybele wieder zur phrygischen Göttin, und seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. ist eine Taufe des Mysten mit dem Blut eines Stieres bezeugt (taurobolium), die später als Wiedergeburt gedeutet wurde.
 
Im Gegensatz zu den enthusiastischen Kybele-Feiern war der seit sullanischer Zeit in Rom bezeugte, oft verbotene Kult des ägyptischen Götterpaares Isis und Osiris geprägt von Besinnung und Zeiten der Askese. Im Mythos vom Tod und der Auferstehung des Osiris wiederholte sich die für den Gläubigen nachvollziehbare Erfahrung des Vergehens und Werdens und ließ ihn hoffen auf ein Leben nach dem Tod.
 
Isis wurde zwar keine nationalrömische Göttin wie Kybele, doch bis zum Ende der heidnischen Ära verehrte man sie überall im spätantiken Römischen Reich als die Helferin aus aller Not und als die mütterliche Universalgöttin, die von sich selbst sagte, sie sei »das All, das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige«. Ihre Wesenszüge haben auch die der christlichen Himmelskönigin Maria in der bildlichen Darstellung nachhaltig beeinflusst.
 
Der Kult des persischen Lichtgottes Mithras fand im 1. Jahrhundert v. Chr. Eingang in Italien und verbreitete sich bis an die äußersten Grenzen des Imperiums; während der großen Reichskrise im 3. Jahrhundert, als die Dynastien ständig wechselten, erlebte er vor allem bei den Soldaten seine Blütezeit. Als sonnenhafter Gott, der alles sieht, kämpft Mithras gegen alles Dunkle und Böse; unter Aurelian wird er auch mit dem Reichsgott Sol invictus (»unbesiegte Sonne«) gleichgesetzt; seinen Anhängern verheißt Mithras Schutz vor Bedrohungen und das ewige Leben: Die menschliche Seele, ein göttlicher Lichtfunke, strebt nach dem Tod des Körpers zurück zu ihrem göttlichen Ursprung und bedarf dazu der irdischen Vorbereitung. In sieben Weihegraden, die jeweils dem Schutz einer der sieben Planetengottheiten unterstanden, wurde die Seele bis zum Fixsternhimmel und zur Schau der Götter geführt. In den einzelnen Weihestufen hatte sich der Myste strengen Prüfungen seiner Kampfbereitschaft und seines Mutes - in der letzten Phase musste er sogar mit seinem Tod rechnen - zu unterziehen; zu den moralischen Forderungen gehörten vor allem Selbstbeherrschung und das Freisein von Leidenschaften.
 
Nach Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke 312 n. Chr., der als Sieg des Christengottes über die heidnischen Götter gewertet wurde, verlor der Mithras-Kult, zumal er für Frauen verschlossen war, rasch an Bedeutung. Der Übertritt zum Christentum dürfte den Anhängern des Mithras nicht zu schwer gefallen sein: Viele ihrer Riten fanden sie in den christlichen Sakramenten wieder, und auch der neue Gott versprach Erlösung und ein Weiterleben nach dem Tod.
 
Dr. Ursula Blank-Sangmeister
 
 
Giebel, Marion: Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten. Taschenbuchausgabe München 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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